Schlagwörter
Buddhismus, Japan, Jugendliche, Kultur, Shintoismus, Subkultur, Tokio
Bunt, schrill und irgendwie gewöhnungsbedürftig. Für Europäer sind Japaner meist übertrieben. Übertrieben höflich oder übertrieben anders. Ein Blick über den eigenen Tellerrand lohnt sich da sehr. Das Land der aufgehenden Sonne bietet Platz für mehr persönliche Entfaltung, als bisher von vielen angenommen. Disziplin und Strenge sind in der Bevölkerung immer noch allgegenwärtig. Das japanische Leben sucht sich jedoch seine Nischen. Eine interessante Gelegenheit, die Menschen dort näher zu betrachten.
Schock der Gegensätze
Japan ist in. Japan ist Kult. Wo der Manga- Hype aufhört, fängt der Kulturschock meist an. Das Land ist ein Meister der Gegensätze. Bestes Beispiel ist die japanische Hauptstadt Tokio. Tokio zeigt sich äußerst modern und weltoffen. Gigantomanie in Reinform dominiert das Stadtbild. Gigantisch ist aber besonders die Einwohnerzahl Tokios. Im Ballungsgebiet der Stadt leben 35 Millionen Menschen. Davon schaut einen jedoch kaum ein Augenpaar beim Stadtbummel direkt an. Die Japaner sind meistens damit beschäftigt, flink eine SMS nach der anderen zu schreiben. Und das während sie einkaufen gehen, beim Frisör sitzen oder auch beim Mittagessen mit den Arbeitskollegen ein Meeting leiten. Kommunikation wird hier stets perfektioniert.
Durchschnittlich besitzt jeder Japaner drei Mobiltelefone. Dennoch haben direkte Aufmerksamkeit und der Respekt vor dem Anderen hohe Priorität. Bei der Handydichte eigentlich kaum zu glauben. Fragt man einen Tokioter nach dem Weg, bekommt man immer Antwort. Lieber wird einem eine falsche als gar keine Auskunft erteilt. Verhaltensregeln wirken programmiert und warten nur auf den Abruf. Selten gelingt der Blick hinter die japanische Maske. In Japan und vor allem Tokio ist man scheinbar immer gut gelaunt. Man teilt sein Lächeln mit der Umwelt. Zufriedenheit auf Knopfdruck.
Als Millionenstadt präsentiert sich Tokio mit atemberaubenden Wolkenkratzern im Stadtteil Shinjuku. Hier findet man das höchste Rathaus der Welt. Einen Eindruck von den vielen Neonschildern Tokios kann man zusätzlich gewinnen. Leuchtschriften zeigen neue Produkte. Ampeln verkünden mit einem Nachtigall- Gesang die nächste grüne Welle.
Läuft man auf den Straßen Shibuyas, sollte man keine Platzangst haben. Die dort ansässige geschäftigste Straßenkreuzung des Landes gleicht einem Ameisenhaufen. Dicht an dicht drängen sich hunderte Menschen aneinander vorbei. Man verliert schnell die Orientierung. Dafür prägen Kunst und die Jugend das dortige Stadtbild. Man schwimmt mit und staunt.
Im sogenannten Anzugträgerviertel in Chiyoda liegt Tokios geografische Mitte. Der Regierungssitz ist hier zu finden. Neben den offiziellen Regierungsgebäuden, ist auch der Kaiserpalast Tokios ein beliebter Treffpunkt für Touristen. Auf dem Weg zwischen Demokratie und einem Relikt aus der Vergangenheit: Der Kaiser ist zwar offizielles Staatsoberhaupt, hat aber nur repräsentative Funktion. Gegensatz auf hoher Ebene.
In Harajuku wird Tokios Vielfalt deutlich sichtbar. Der Anteil junger und alter Bewohner hält sich die Waage. Genauso wie die alte und junge Kultur der Stadt. Nähe wird gelebt und sich nicht voneinander entfernt. Die Subkultur hat hier ihren persönlichen Schauplatz gefunden. Trotz der strengen japanischen Normen, wird Individualität kaum kritisch beäugt. Der Impuls der Querdenker ist schon lange aus diesem Bezirk nach Gesamttokio übergeschwappt. Junge Mädchen im Kimono gekleidet, treffen auf Szenegänger der Visual Kei Richtung (Musikszene mit punkigem Einschlag). Ein bizarres Bild ergibt sich, welches einem schnell das Herz erwärmt. Man muss sich nur darauf einlassen.
Besonders amüsant sind die jungen Tokioter auf der Brücke, die zu einem der bedeutendsten Tempel in Tokio führt: dem shintoistischen Meiji- Schrein mit seinem großem Holztor. Die Jugendlichen posieren in auffälligen Kostümen vor Touristen: die Cosplayer- Szene lädt zum Schaulauf. Junge Menschen imitieren ihre Manga- Helden und gieren nach Aufmerksamkeit. Friedlich, aber bestimmt. Auf den ersten Blick ganz und gar un-japanisch. Religion trifft Passion. In Tokio Alltag und keine Seltenheit.
Ein Punk im Tempel
Die japanische Tradition lebt weiter. Trotz Konsum und jugendlicher Wertvorstellungen. Hier wird Individualität gelebt und gleichzeitig auf die eigenen Wurzeln besinnt. Dieser besondere japanische Geist, ist in jedem Japaner zu finden. Er wird unterschiedlich sichtbar. Tokio als Millionenstadt hat beispielsweise eine spürbar wohl erzogene Bevölkerung. Müll muss man auf den Straßen suchen. Alles ist sauber, fast schon steril. Für eine Stadt dieser Größe ereignen sich verhältnismäßig wenige Verbrechen. Man kann sich auch nachts frei auf den Straßen bewegen.
In Tokio stehen sich Kultur und Subkultur nicht im Weg, sondern ergänzen sich optimal. Da steht ein Punk im Tempel und verbeugt sich tief. Er wirft ein paar Yen in eine große Holzkiste und betätigt einen großen Gong. Ein lauter, warmer Klang lässt die Luft vibrieren. Der junge Mann ist in sein Gebet vertieft. Er betet für die Seelen seiner verstorbenen Verwandten und dass sie es im Jenseits gut haben. Seine Augen öffnen sich und er schlurft mit seinen zerschlissenen Stiefel davon.
Kultur in der Subkultur. Die Japaner machen es möglich.